Homöopathie und die Welt

Dieser Blog beleuchtet Schnittstellen der Homöopathie und des ganzheitlichen Heilens mit der außermedizinischen Welt, mit Spiritualität, Wissenschaft und Politik. Die homöopathische Art, über Probleme, Krisen und Lösungen nachzudenken und nachzufragen, wird über Themen der individuellen Gesundheit hinaus erweitert. Die ganzheitliche Sicht auf Zusammenhänge und die besondere Art, genau hinzuhören, die wir uns in zweihundert Jahren Umgang mit Krisen und Leiden erarbeitet haben, läßt sich auch in kollektiven Zusammenhängen sehr fruchtbar anwenden. Dies möchte ich in einer losen Folge von Artikeln anhand aktueller Themen zeigen.
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Jörg Wichmann, November 2017


BLOG

Die „Macht“ der Lobby – und eine Frage, die niemand stellt.

Zu einem aktuellen Thema: Gestern hat ein Prozess begonnen, der uns noch eine ganze Weile in den Medien beschäftigen wird. Es „steht der ehemalige Kommunikationschef der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), Thomas Bellartz, vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, in mehr als 40 Fällen einen Systemadministrator im Gesundheitsministerium dafür bezahlt zu haben, dass dieser ihm vertrauliche Unterlagen der Leitungsebene des Ministeriums beschafft.“ schreibt tagesschau.de am 4.1.18 (Link) Damit gerät wieder einmal das Thema des Lobbyismus in den Fokus, diesmal im gesundheitspolitischen Bereich, der uns als TherapeutInnen mit betrifft.

Als Therapeuten haben wir gelernt, stets genau nachzufragen, benutzte Begriffe auf ihren Inhalt zu befragen und scheinbar selbstverständliche Zusammenhänge zu hinterfragen. So frage ich mich, wenn in letzter Zeit überall von der „Macht der Lobby“ die Rede ist, worin diese besteht, um was für eine „Macht“ es sich handelt. Hier sollte nicht die Frage gestellt werden: Wer beeinflußt wen? sondern: Worin besteht eigentlich dieser Einfluß, worin liegt die Macht der Lobby, wer gibt sie ihr, und warum lassen wir sie überhaupt zu?
Seltsamerweise habe ich diese Frage noch nirgendwo gestellt gesehen oder gehört. Alle beschäftigen sich damit, wie man die Lobby transparenter machen könnte, wer wie lange mit wem geredet hat usw. – Aber was das genau sein soll, diese „Macht“ der Lobby, das fragt niemand. Als handele es sich dabei um eine Art Naturgesetz, als würde die „Macht“ ein Aspekt der Lobby sein, wie Regen nass und Frost kalt ist. Eine Art natürlicher Eigenschaft, die keiner Erklärung bedarf. Es muß aber gefragt werden, inwieweit ein Einfluß der Lobby auf die Politik überhaupt legitim ist oder hinderlich für die Demokratie, und ob eine solche „Macht“ überhaupt eine gesetzlich zugelassene Form haben kann und darf.
Für mich ist deshalb die interessanteste Stelle und die frag-würdigste: Worin bitte besteht diese „Macht“? Müssen wir davon ausgehen, daß die Lobbyisten unsere Politiker insgeheim bedrohen, daß vor den Kindergärten der Politikerkinder seltsame schwarze Wagen parken, aus denen Männer mit Sonnenbrillen starren? Wohl eher nicht (obwohl es bei Persönlichkeiten wie Kennedy, Hammerskjöld, Johannes Paul I. recht belastbare Hinweise darauf gibt, daß sie gezielt aus dem Weg geschafft wurden). Sollen wir uns vorstellen, daß die Lobbyisten mit kleinen schwarzen Koffern voll unnummerierter Scheine herumlaufen und sie an wohlgesonnene Politiker verteilen? Auch wenn es einige Fälle gibt, in denen dies nachgewiesen wurde, etwa in dem jetzt vor Gericht verhandelten Fall oder in dem bekannten Skandal, bei dem sich Altkanzler Kohl einen Black-out leisten mußte, um sich nicht an die Schwarzkassen der CDU erinnern zu müssen, wird auch das wohl nicht die gängige Praxis sein.
Wir wissen, daß die Parteien als Institutionen insofern korrupt oder anfällig gegen Korruption sind, weil sie ihre Gelder überwiegend aus Spenden der Großindustrie beziehen. Und wir wissen auch, daß einzelne Politiker – jüngst der eklatante und besonders dreiste Fall des Exkanzlers Schröder – sich bestimmte Unternehmen „warmhalten“, um nach ihrer Amtszeit dort ein sehr üppiges leistungsfreies Einkommen in irgendeiner Pseudofunktion zu beziehen, für die sie nicht ernsthaft arbeiten müssen.

All diese Verflechtungen und der Korruption zumindest sehr nahe stehenden Vorgänge kennen wir, und doch hinterläßt diese Kenntnis bei mir nicht das zufriedene Gefühl, die Zusammenhänge wirklich verstanden zu haben. Aus Patientengesprächen kenne ich es, daß in meinem Gefühl etwas Aha! sagt, wenn mir jemand zu einem Symptom den richtigen, den zugehörigen Hintergrund erzählt. Und bei der Frage, wieso denn die „Lobby“ überhaupt eine Macht in der Politik haben kann und worin genau diese Macht besteht, worauf sie sich gründet, bei dieser Frage hat es bisher noch nicht Aha! gemacht. Ich habe die vollständige und angemessene Antwort noch nicht gehört. Und mir scheint, daß die großen Medien, die überwiegend im Besitz weniger reicher Personen oder Konzerne sind, hier eher Teil des Problems als Teil der Lösung sind.

Die jüngste Glyphosat-Affäre um Minister Schmidt ist zwar viel besprochen worden und hat für große Aufregung gesorgt. Aber auch hier wurde nicht die Frage gestellt, die sich mir an dieser Stelle aufdrängt und die mir wichtig scheint, den ganzen Vorgang zu begreifen: Was hat der Mann davon? Wenn ein Minister gegen alle Absprachen, gegen die Geschäftsordnung der Regierung, gegen die Koalitionsräson und auch – trotz katastrophaler Stimmverluste seiner Partei – gegen die erklärte Mehrheitsmeinung handelt, macht er sich unbeliebt, riskiert einen erzwungenen Rücktritt und gefährdet seine Karriere – und er weiß das alles auch. Daß er so viel aufs Spiel setzt, nur um einem netten Lobbyisten von Monsanto einen Gefallen zu tun oder aus ideologischer Verblendung, kann ich mir einfach nicht vorstellen. Wer so viel aufs Spiel setzt, um eine Entscheidung zugunsten eines Konzerns zu drehen, muß schwerwiegende Gründe dafür haben. Gründe, die wir nicht kennen und über die nicht gesprochen wird. Aber ich bin sicher, daß die Aufdeckung dieser Gründe und Hintergründe einen sehr düsteren Aspekt der Verflechtung zwischen Politik und Wirtschaft sichtbar machen würde.

Aus unzähligen Gesprächen mit unseren PatientInnen wissen wir, daß die Hauptenergie eines Problems und damit oft auch seine Lösung in dem Bereich liegt, auf den nicht geschaut wird und der gemieden wird. Ein wichtiger Teil der Antwort liegt gewöhnlich im Schatten – das ist ein wesentliches Prinzip einer jeden ganzheitlichen Betrachtung. So ist dann auch das Ergebnis unserer Überlegungen zum Lobbyismus ein anderes, als es selbst von den Lobby-kritischen Organisationen angeboten wird. Es geht letzten Endes überhaupt nicht darum, nur Transparenz zu schaffen darüber, wer als Lobbyist tätig ist und wer mit wem redet. Das ist viel zu kurz gegriffen.
Es geht darum, den Skandal in die öffentliche Wahrnehmung zu bringen, daß überhaupt eine Reihe von Organisationen und Personen einen derart massiven Einfluß auf die Politik nehmen kann, der nicht nur nicht dem allgemeinen Wohl dient, sondern oft genug frontal dagegen gerichtet ist. Wir dürfen diesen Einfluß grundsätzlich gar nicht dulden, weil er dem verfassungsgemäßen Auftrag unserer Politik widerspricht: vor allem anderen für das Wohl der Bevölkerung zu sorgen. Politische Strukturen müssen so umgebaut werden, daß eine Lobby-Arbeit nicht mehr möglich ist. Es kann nicht angehen, daß die Parteien mehr von der Finanzierung durch reiche Konzerne oder Personen abhängig sind, als sich dem Willen ihrer Wähler verpflichtet zu fühlen. Schlimm genug, daß die öffentliche Meinung durch Geld über den Besitz der großen Medien manipulierbar ist, aber daß unsere gewählten Vertretungen bestechlich und erpressbar sind und wir diese „Macht der Lobby“ wie eine natürliche Gesetzmäßigkeit der Demokratie akzeptieren, das geht gar nicht!

Was hat das alles mit Heilen zu tun? Mehreres: Zunächst einmal sind wir selbst als Behandler direkt davon betroffen, denn wenn unsere demokratischen Staatsorgane frei und unbeeinflußt im Sinne der Bevölkerung entscheiden würden und damit ihrem gesetzlichen Auftrag korrekt nachkommen würden, würden die alternativen Heilverfahren einen viel besseren Status haben. Alle bisherigen Umfragen zeigen nämlich einhellig, daß eine große Mehrheit der Bevölkerung sich eine medizinische Behandlung mit alternativen Methoden wünscht. Bisher berücksichtigt die Politik jedoch nicht den Wunsch der Wählermehrheit, sondern nur die Interessen bestimmter einflußreicher Lobbys, die sich keine Verbreitung von effizienten und billigen Heilmethoden wünschen, die mit geringen technischen und chemischen Ressourcen auskommen.
Zum anderen macht diese Art der Lobby-gesteuerten Politik es unmöglich, angemessen auf die großen Probleme unserer Zeit zu reagieren. Die Agrar-Lobby verhindert ein Verbot hochgiftiger Pestizide, die uns alle krank machen und die Biosphäre verseuchen. Die Auto-Lobby verhindert eine menschen- und umweltfreundliche Verkehrspolitik und sorgt dafür, daß wir tausende Tote und Schwerverletzte sowie Folgekrankheiten der Luftverschmutzung in Kauf nehmen als seien sie gottgegeben und nicht Folge politischer Fehlentscheidungen. Und so weiter. Zweifellos wäre unsere Lebensumgebung und wären wir selbst um vieles gesünder, wenn unsere politischen Vertreter ihre Entscheidungen ohne einen Einfluß von Lobbys im Sinne unseres Wohles fällen würden.

Ein offensichtlich krimineller Akt, wie er aktuell vor Gericht zur Verhandlung kommt, muß natürlich geahndet werden, doch lenkt dies leider davon ab, daß die wirkliche Problematik der Lobby-„Macht“ überhaupt nicht zur Sprache gebracht wird.
Es ist an uns allen, dies zu ändern. Am besten bald.


Wer sich über die bis weit in die Geschichte zurück reichenden Verflechtungen zwischen Staat und Wirtschaft tiefergehend informieren möchte, dem sei das Buch „Das Ende der Megamaschine“ von Fabian Scheidler ans Herz gelegt. Link

Und wer sich gegen Lobbyismus engagieren möchte, findet in LobbyControl e.V. einen Verein, der seit Jahren in diesem Feld erfolgreich engagiert ist und jede Unterstützung und Spende braucht und auch wert ist.

Und eine gute internationale Website zu dem Thema ist: Corporate Europe Observatory.


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