Homöopathie und die Welt

Dieser Blog beleuchtet Schnittstellen der Homöopathie und des ganzheitlichen Heilens mit der außermedizinischen Welt, mit Spiritualität, Wissenschaft und Politik. Die homöopathische Art, über Probleme, Krisen und Lösungen nachzudenken und nachzufragen, wird über Themen der individuellen Gesundheit hinaus erweitert. Die ganzheitliche Sicht auf Zusammenhänge und die besondere Art, genau hinzuhören, die wir uns in zweihundert Jahren Umgang mit Krisen und Leiden erarbeitet haben, läßt sich auch in kollektiven Zusammenhängen sehr fruchtbar anwenden. Dies möchte ich in einer losen Folge von Artikeln anhand aktueller Themen zeigen.
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Jörg Wichmann, November 2017


BLOG

Leserbrief zum Artikel „Glaubenskrieg um Globuli“ aus der taz vom 14.10.19

Dieser Leserbrief wurde an die taz geschickt, aber nicht gedruckt – wie auch sonst von der taz nichts gedruckt wird, das positiv zur Homöopathie wäre – , weshalb diese Stellungnahme auf anderen Wegen verbreitet wird.

Glaubenskrieg um Zuckerkügelchen?- um was geht es wirklich?

Der Titel des Beitrags ist insofern gut gewählt, als es sich beim Streit um die Homöopathie tatsächlich um den Vorposten eines Glaubenskriegs handelt und nicht um die Frage, ob die Homöopathie wissenschaftlich begründbar ist oder nicht. Wen würde schon die physikalische Plausibilität einer alternativen Heilmethode interessieren? Habt Ihr echt keine anderen Probleme? Doch, es geht nämlich um andere Probleme dabei. Der Homöopathie-Streit ist nur ein Vorposten eines viel größeren Glaubenskrieges, in dem die Homöopathie als leicht lächerlich zu machende Methode vorgeschoben wird.

Worum geht es wirklich und vor welchen Karren lassen sich hier die Jungen Grünen spannen?

Schauen wir uns die Akteure im Hintergrund an und ihre sonstigen Anliegen.

Textvergleiche zeigen schnell, dass die wesentlichen Argumente des Antrages der Jungen Grünen von einer Gruppierung namens INH (Informationsnetzwerk Homöopathie) stammen. Der Initiator des Antrags Demisch weist in seinem Twitter-Account ausdrücklich darauf hin und bedankt sich dafür.

Dieses INH wiederum ist eine der Organisationen einer Weltanschauungsgemeinschaft, die sich – zwar falsch aber wirksam – als „Skeptiker“ bezeichnen. Diese sogenannten „Skeptiker“ treten in zahlreichen Vereinigungen auf, u.a. die Brights, die Giordano-Bruno-Stiftung, die GWUP, die CSI und andere, und vertreten einen sehr radikalen und dogmatisch vorgetragenen Materialismus – also die Auffassung, dass die Welt ausschließlich materieller Natur sei, der Mensch und alle anderen Lebewesen nur sehr komplexe Maschinen.

Dass Menschen mit einem derartigen Weltbild keine großen Fans der Homöopathie sind, liegt auf der Hand. Aber dass sie sich international vernetzen, um so eine verhältnismäßig nebensächliche Methode zu bekämpfen, ist schon erstaunlich. Es geht eben um anderes.

Schauen wir in das Programm ihrer aktuellen Jahrestagung ESC, die kürzlich in Gent, Belgien, stattfand, so können wir dort nachlesen, dass mit den gleichen Argumenten, mit der der Homöopathie die Wissenschaftlichkeit abgesprochen werden soll, versucht wird, die Atomenergie als einzige wissenschaftlich vertretbare und rational begründbare Lösung für die CO2-Frage vorzustellen, Gleiches gilt für die Gentechnik als alleinige Lösung des Welthungerproblems. Diese Positionen laufen dort unter dem Motto „Green Skepticism“ und „Ökomodernismus“, während andere umweltpolitische Positionen als grüne Gefühligkeit (feeling green) und ihre Vertreter als uninformiert diffamiert werden.

Die Welt, die von den Ratgebern und Vordenkern des grünen Anti-Homöopathie-Antrags angestrebt wird, besteht jedoch nicht nur aus Atommeilern und Gentechnik sondern auch aus Menschen, die durch Verschmelzung mit Maschinen und künstlicher Intelligenz sowie genetische Manipulationen „optimiert“ werden. „Transhumanismus“ ist das freundlich klingende Wort für die gruseligen Zukunftsvisionen dieser Weltanschauungsgemeinde. Jeder darf sich ja seine Zukunft wünschen, wie er möchte. Aber ob ausgerechnet die Grünen sich in dieser Gesellschaft von Leuten wohlfühlen, die meinen, der Mensch als solcher habe sich überlebt und müsse jetzt durch Cyborgs (Mensch-Maschinen-Wesen) abgelöst werden?

Nein, es geht nicht um die Homöopathie sondern darum, was für eine Zukunft wir uns wünschen und vorstellen. Ja, da ist ein Glaubenskrieg im Gange, aber nicht um Zuckerkugeln, sondern um die Frage, ob wir eine Medizin wollen, die den Menschen als zu reparierende Maschine betrachtet oder eine integrative, weltoffene und weltanschaulich pluralistische Medizin, in der viele Ansätze Platz haben und die uns mündigen Bürgerinnen und Bürgern die Wahl überlässt, wie wir gern leben und gesund werden wollen.

Hier, liebe Grüne, müsst Ihr Euch positionieren und Euren Wählern sagen, für welch eine Welt Ihr die politischen Rahmenbedingungen schaffen wollt – einen radikalen Materialismus oder einen weltoffenen, ökologischen Pluralismus.

Jörg Wichmann


Anhang, um den sachlichen Hintergrund zu verdeutlichen und zu belegen.

Es geht um eine Auseinandersetzung zwischen zwei weltanschaulichen Grundpositionen:

  • einerseits einem extremen Materialismus, der die Welt und den Menschen als eine komplexe Maschine betrachtet, und
  • andererseits einer ganzheitlichen Betrachtung des Menschen, die eine seelisch-geistige Ebene als zum Wesen des Menschen gehörig ansieht.

Es liegt nicht im Aufgabenbereich oder in der Möglichkeit von Wissenschaften, zwischen solchen Grundpositionen zu unterscheiden, da diese paradigmatischer oder axiomatischer Natur und somit allen wissenschaftlichen Einzelaussagen vorgelagert sind.

Um den Hintergrund der Debatte besser zu verstehen, hier einige Aussagen zu Sache:

(Belege angehängt, um die Argumentation nicht unübersichtlich zu machen)

  1. Auch wenn immer wieder die falsche Behauptung verbreitet wird, die Homöopathie sei wissenschaftlich widerlegt, lässt sich leicht zeigen, dass es inzwischen ein gutes wissenschaftliches Fundament für die Effizienz homöopathischer Behandlungen gibt und dass auch die Wirksamkeit der homöopathischen Arzneien zumindest so vielversprechend nachweisbar ist, dass sich weitere Studien lohnen würden.
  2. Aufgrund solcher Studien hat vor Kurzem die Schweiz die Homöopathie neben anderen ganzheitlichen und naturheilkundlichen Verfahren in die staatlich geförderte medizinische Grundversorgung aufgenommen.
  3. Die Argumentation der Grünen Jugend in ihrem Antrag zur Homöopathie stammt – wie bei einem Vergleich leicht zu erkennen ist – aus den Veröffentlichungen des INH (Informationsnetzwerk Homöopathie), einem Nebenzweig der GWUP (Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften). Der Initiator des Antrags, Tim Niclas Demisch, bedankt sich über Twitter ausdrücklich beim INH und leitenden Persönlichkeiten der GWUP.
  4. Die GWUP, sowie das INH und ähnliche Gruppierungen aus dem Umfeld der sogenannten „Skeptiker“ – alle personell sehr eng miteinander verflochten – sind keineswegs typische Vertreter wissenschaftlicher Rationalität, sondern eine besondere Weltanschauungsgemeinschaft, die einen Materialismus mit dem Anspruch der Alleingültigkeit vertritt.
  5. Mit der gleichen Argumentationsstruktur, mit der der Homöopathie die Wissenschaftlichkeit abgesprochen werden soll, wird von den gleichen Gruppierungen versucht, die Atomenergie als einzige wissenschaftlich vertretbare und rational begründbare Lösung für die CO2-Frage vorzustellen, gleiches gilt für die Gentechnik als Lösung des Welthungerproblems. Diese Positionen laufen dort unter dem Motto „Green Skepticism“ und „Ökomodernismus“, während andere umweltpolitische Positionen als grüne Gefühligkeit (feeling green) diffamiert werden.
  6. Zu den Weltanschauungsgemeinschaften, die die Argumente des Antrags der Jungen Grünen gegen die Homöopathie geliefert haben, gehört auch die Giordano-Bruno-Stiftung, die nicht nur einen konsequenten Materialismus vertritt sondern auch der Idee des Transhumanismus (der „Optimierung“ des Menschen durch Verschmelzung mit Maschinen und künstlicher Intelligenz oder genetische Veränderung) nahesteht oder diese vertritt.
  7. Die Auseinandersetzung ist keine auf Gegenseitigkeit. Während die weltanschaulichen Materialisten sich selbst als einzig gültige Interpreten und Vertreter von Wissenschaft ansehen und bezeichnen und alle anderen Sichtweisen der Welt aus dem öffentlichen Diskurs verdrängen möchten, ist dies umgekehrt nicht der Fall. Vertreter eher ganzheitlicher Weltbilder oder Heilmethoden haben kein Interesse daran, materialistische Auffassungen der Welt, des Menschen oder der Medizin abzuschaffen oder öffentlich zu diffamieren. Sie vertreten einen weltanschaulichen Pluralismus, der anerkennt, dass es innerhalb und außerhalb der Wissenschaft unterschiedliche Grundannahmen über die Welt gibt, und dass Menschen das Recht haben sollten, nach ihrer jeweiligen Auffassung zu leben.
  8. Das immer wieder vorgebrachte Argument, sanfte Medizin sei deshalb gefährlich, weil angeblich notwendige lebensrettende Maßnahmen vernachlässigt würden, lässt sich – zum Glück für die unzähligen PatientInnen der betreffenden Verfahren – bisher durch keine Beispiele belegen. Es handelt sich also um ein Scheinargument.
    Dieses Argument unterstellt auch, dass Ärztinnen und Ärzte sowie HeilpraktikerInnen, die mit ganzheitlichen Heilmethoden arbeiten, nicht hinreichend ausgebildet seien, um fachlich korrekt zu unterscheiden, wann die eine oder die andere Methode anzuwenden ist. Die fachliche und wissenschaftliche Ausbildung von solchen BehandlerInnen, die sich für den Einsatz ganzheitlicher Verfahren entscheiden, ist jedoch keine andere als diejenige von BehandlerInnen, die sich für andere Verfahren entscheiden.

Ein näherer Blick auf die Sachlage zeigt also, dass es hier nicht um Wissenschaft als solche geht sondern um unterschiedliche Weltanschauungen und verschiedene Deutungen von wissenschaftlichen Ergebnissen.

Die Position der Jungen Grünen zur Homöopathie stellt sich hier in einen weltanschaulichen Kontext, der einigen Grundpositionen nicht nur der Grünen, sondern auch der Mehrheit der deutschen Bevölkerung stark widerspricht.

Nach dem Grundgesetz ist es nicht Sache des Staates, im Widerstreit verschiedener Weltanschauungen eine Seite einzunehmen oder zu bevorteilen. Hingegen sollte ein demokratischer Staat zum Einen für unparteiische Aufklärung über die Sachlage sorgen und zum Anderen die Meinung und den Willen der Bevölkerungsmehrheit respektieren, die sich nach allen bisherigen Umfragen eindeutig für eine freie Wahl der medizinischen Therapiemethode, ausdrücklich auch Naturheilverfahren und Homöopathie, ausgesprochen hat.

Belege:

zu 1) Dies lässt sich durch Recherche zB auf der Seite des HRI (Homeopathic Research Institute) https://www.hri-research.org/ klären. Und Fragen zur aktuellen Forschungslage beantwortet die Seite der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Homöopathie WissHom. Der Australische Bericht zur Homöopathie des NHMRC von 2015, der von Gegner stets gern zitiert wird, hat sich gerade als ein erzwungenes Remake zu einem offenbar zu positiven Bericht von 2012 herausgestellt, den das NHMRC in der Schublade hatte verschwinden lassen und trotz anfänglichem Leugnen seiner Existenz letztlich auf gerichtliche Anordnung herausrücken musste. Dieser erste Bericht, der von „encouraging evidence for the effectiveness of homeopathy” spricht, wurde durch einen ersetzt, der von einem erklärten Homöopathie-Gegner verfasst wurde und nur 5 (fünf) von 176 vorliegenden Studien bewertet hat. Näheres dazu hier:

https://www.hri-research.org/wp-content/uploads/2019/10/20191009_HRI-Statement_NHMRC-First-Report-Findings-2.pdf

zu 2) siehe zB: https://www.homoeopathie-online.info/schweiz-homoeopathie-ist-wirksam-zweckmaessig-und-wirtschaftlich/

zu 3) s. Twitter-Account von Tim Demisch vom 5.9.19

Die Ähnlichkeit der Argumentationsstruktur ergibt sich leicht durch Textvergleiche von Veröffentlichungen des INH und des genannten Antrags und wird sicherlich auch nicht bestritten, zumal Demisch selbst auf Twitter darauf hinweist.

zu 4) Das weltanschauliche und mediale Umfeld der sogenannten „Skeptiker“gruppierungen lässt sich leicht online recherchieren. Hierher gehören u.a. die Gruppierungen der Brights, die GWUP, die Giordano-Bruno-Stiftung, das INH, die Websites RationalWiki.org unddas illegale Psiram.org.

zu 5) siehe Programm des European Skeptics Congress 2019 – Ghent — “The Joy of Skepticism”:

https://www.esc2019.be/program zum Thema „Green Skepticism“.

zu 6) s. zB. https://www.giordano-bruno-stiftung.de/beirat/vowinkel-bernd über Bernd Vowinkel, Beiratsmitglied und führende Persönlichkeit in der GBS, zugleich Gründer der Transhumanen Partei Deutschlands. Die GBS ist mit der GWUP personal verbunden, zB durch die prominente Homöopathie-Kritikerin Natalie Grams, die im Beirat der GBS ist, Kommunikationsmanagerin in der GWUP und Leiterin des INH.


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